Das Problem der Unfruchtbarkeit in der Reproduktionsmedizin: Eine medizinische und (inter)kulturelle Perspektive

2021-1-HU01-KA220-HED-000027613 - COHRICE

SYLLABUS

5. Das Problem der Unfruchtbarkeit in der Reproduktionsmedizin: Eine medizinische und (inter)kulturelle Perspektive

(Fortgeschritten)


Folie  2 - DISKUTIERTE THEMEN

In diesem Curriculum wird das Thema Unfruchtbarkeit und assistierte Reproduktionstechnologie (ART) aus zwei Blickwinkeln betrachtet: aus medizinischer Sicht und aus der persönlichen Sicht der Patient:innen.

Das Curriculum führt durch die folgenden Schritte, um eine facettenreiche Sicht auf die Frage der Unfruchtbarkeit und der Unfruchtbarkeitsbehandlung zu erhalten:

Zunächst wird das Problem der Unfruchtbarkeit aus medizinischer Sicht beleuchtet, dann wird das Thema aus der Sicht der unfruchtbaren Frau näher betrachtet. Nachdem wir beide Perspektiven dargestellt haben, werfen wir die Frage auf, was Mediziner tun können, um das gegenseitige Verständnis zwischen Arzt und Patient:in zu erleichtern und so eine kooperative und effektive Beziehung bei der Behandlung von Unfruchtbarkeit zu fördern.

Zweitens stellen wir den Prozess der künstlichen Befruchtung (ART) aus medizinischer Sicht dar und geben Einblicke in das Verständnis, was dies aus der Sicht des Patienten bedeutet. All dies zielt letztlich darauf ab, zu zeigen, was der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin tun kann, um die Unterschiede in den Perspektiven zu überbrücken.

Wir möchten darauf hinweisen, dass kulturelle, religiöse und soziale Faktoren die Wahrnehmung, die Kommunikation und die Einhaltung medizinischer Eingriffe beeinflussen.

Folie 3
- EINLEITUNG

Aus medizinischer Sicht geht es bei der Frage der Unfruchtbarkeit und der Therapie um die Diagnose, die Erforschung der Ursachen und den Einsatz wissenschaftlich erprobter Methoden zur “Behandlung” der Unfruchtbarkeit, angefangen bei weniger invasiven bis hin zu invasiven Eingriffen. Es handelt sich um einen problemorientierten Prozess, bei dem letztlich die Lebendgeburt eines (im Idealfall gesunden) Kindes in der Familie ist.

Aus der Sicht der Frau ist die Frage der Unfruchtbarkeit und der künstlichen Befruchtung nicht nur eine medizinische Frage, sondern auch eine Frage der persönlichen, sozialen und umweltbedingten Faktoren.

Dies kann leicht zu Situationen führen, in denen der Arzt/die Ärztin und Patientin Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit haben und Missverständnisse entstehen, die meist auf die einseitige Kommunikation zurückzuführen sind, was zu Uneinsichtigkeit und Behandlungsfehlern führen kann.

Folie 4 - 5 MEDIZINISCHE PERSPEKTIVE DER INFERTILITÄT

Der Begriff "Sterilität" beschreibt die Unfähigkeit, nach einem Jahr ungeschützten Geschlechtsverkehr schwanger zu werden, während der Begriff "Unfruchtbarkeit" die Situation  beschreibt, dass ein Paar nicht in der Lage ist ein lebendes Kind zur Welt zu bringen. Die beiden Begriffe werden häufig synonym verwendet, und es wird nicht genau zwischen ihnen unterschieden. Man unterscheidet zwischen primärer Sterilität oder Unfruchtbarkeit, wenn die Frau noch nie schwanger war oder ein Kind empfangen hat, und sekundärer Sterilität, wenn die betroffene Frau bereits früher schwanger war.

Eines von sechs Paaren weltweit leidet mindestens einmal im Laufe seines reproduktiven Lebens an einer Form von Unfruchtbarkeit, das sind 48 Millionen Paare weltweit, wovon 25 Millionen Menschen Europäisch sind. Die Unfruchtbarkeit kann zu Diskriminierung, aber auch zu Ängsten und Depressionen führen. (Weltgesundheitsorganisation, 2023; Mascarenhas et al. 2012)

Das immer höhere Alter der Patientinnen ist eine der häufigsten Erklärungen für die zunehmende Unfruchtbarkeit. Die Europäische Union erlebt einen Bevölkerungsrückgang. Laut Eurostat liegt die höchste Geburtenrate in einer Stichprobe von neun EU-Ländern unter der für den Generationswechsel erforderlichen Stabilisierungsrate. Die derzeitige Prävalenz der mindestens 12 Monate andauernden Unfruchtbarkeit wird weltweit auf 8-12 % der Frauen im Alter von 20-44 Jahren geschätzt.

Folie 6 - 7
URSACHEN FÜR UNFRUCHTBARKEIT

20-30 % der Fälle von Unfruchtbarkeit bei Männern sind auf physiologische Ursachen zurückzuführen, 20-35 % der weiblichen Fälle von Unfruchtbarkeit haben physiologische Ursachen, und 25-40 % der Fälle sind auf ein Problem beider Partnern zurückzuführen. In 10-20 % der Fälle wird keine Ursache gefunden, was als idiopathische Unfruchtbarkeit bezeichnet wird. Unfruchtbarkeit wird auch mit veränderbaren Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Körpergewicht, Drogenkonsum, übermäßigem Alkoholkonsum und Stress in Verbindung gebracht. (Gelbaya et al. 2014; World Health Organisation, 2023; Gore et al. 2015; Segal et al. 2019)

Unfruchtbarkeit bei der Frau kann folgende Ursachen haben:

  • Beeinträchtigte strukturelle oder funktionelle Durchgängigkeit der Eileiter, wie z. B. verschlossene Eileiter, die durch unbehandelte sexuell übertragbare Infektionen oder Nebenwirkungen von (unsicheren) Abtreibungen, postpartaler Sepsis oder Unterleibs-/Beckenoperationen verursacht werden.
  • Gebärmuttererkrankungen, die entzündlich (wie Endometritis), angeboren (wie Gebärmutterseptum) oder gutartig (wie Myome, Polypen) sein können
  • Ovarielle Beeinträchtigungen, wie das polyzystische Ovarialsyndrom oder die vorzeitige Ovarialinsuffizienz.
  • Pathologien der Hypothalamus-Hypophysen-Achse, die wiederum zu Anomalien der weiblichen Fortpflanzungsfunktion führen. (Weltgesundheitsorganisation, 2023)

Die Bedeutung dieser Faktoren für die weibliche Unfruchtbarkeit kann in den verschiedenen Ethnien, Kulturen, Religionen und sozialen Kreisen variieren, die das durchschnittliche Gebäralter, die sexuellen Gewohnheiten, die Prävalenz von Grunderkrankungen (wie die Prävalenz von PCOS oder POI oder Myomen, die Prävalenz von sexuell übertragbaren Krankheiten) beeinflussen können.

Unfruchtbarkeit beim Mann kann folgende Ursachen habe:

  • Undurchgängigkeit der männlichen Geschlechtsorganen, die zu einer Störung des Samenergusses führen (z. B. Samenleiter und Samenbläschen). Diese Pathophysiologien sind meist auf Verletzungen oder Infektionen des Genitaltrakts zurückzuführen.
  • Hormonelle Störungen, die zu Anomalien der von Hypophyse, Hypothalamus und Hoden produzierten Hormone führen. Hormone wie Testosteron regulieren die Spermienproduktion. Beispiele für Krankheiten, die zu einem hormonellen Ungleichgewicht führen, sind Hypophysen- oder Hodenkrebs.
  • Problematische Spermienproduktion, z. B. aufgrund von Varikozelen oder medizinischen Behandlungen, die die spermienproduzierenden Zellen beeinträchtigen (wie Chemotherapie).
  • Abnormale Spermienfunktion und -qualität. Bedingungen oder Situationen, die eine abnorme Form (Morphologie) und Bewegung (Motilität) der Spermien verursachen, wirken sich negativ auf die Fruchtbarkeit aus. So kann beispielsweise die Einnahme von Anabolika zu abnormen Samenparametern wie Spermienzahl und -form führen. (Weltgesundheitsorganisation, 2023; Gore et al. 2015)

Lebensstilfaktoren wie Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum und Fettleibigkeit oder ein extrem niedriger Body-Mass-Index können das Auftreten von Fruchtbarkeitseinschränkungen erhöhen. Darüber hinaus kann die Exposition gegenüber Umweltschadstoffen und Toxinen (gonadotoxische Medikamente) direkt toxisch für die Gameten (Eizellen und Spermien) sein, was zu einer reduzierten Anzahl und schlechter Qualität dieser führt. (Weltgesundheitsorganisation, 2023; Gore et al. 2015; Segal et al. 2019)

UNFRUCHTBARKEIT - PATIENTENPERSPEKTIVE

Folie 8 - 9 PERSÖNLICHER KONTEXT

Die Wahrnehmung von Unfruchtbarkeit ist aus der Sicht der Frau oder des Paares eine andere als aus der medizinischen Sicht. Insgesamt sind die Erfahrungen mit männlicher Unfruchtbarkeit wenig erforscht (Culley et al. 2013). In diesem Abschnitt wird das Thema Unfruchtbarkeit aus der Perspektive der medizinischen Kommunikation behandelt. In diesem Lehrplan werden wir uns darauf konzentrieren, die Erfahrungen von Frauen mit Unfruchtbarkeit besser zu verstehen. Wir werden uns zunächst mit den möglichen Emotionen befassen, die Frauen aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit erleben können. Emotionen sind in der Tat kontextabhängig, aber jetzt führen wir sie isoliert auf. In der Literatur finden sich verschiedene Emotionslisten im Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit. So geht Unfruchtbarkeit häufig mit emotionalen Reaktionen einher, wie dem Gefühl des Versagens, der Unzulänglichkeit und der eingeschränkten Kompetenz, dem Gefühl der Isolation und Entfremdung von denjenigen, die schwanger werden können, dem Gefühl der Stigmatisierung und dem starken Engagement für eine Behandlung. Greil et al. stellen auf der Grundlage einer Literaturrecherche die folgenden Emotionen und Erfahrungen in Zusammenhang mit Fruchtbarkeit: negative Identität, ein Gefühl der Wertlosigkeit und Unzulänglichkeit, ein Gefühl der mangelnden persönlichen Kontrolle, Wut und Groll, Trauer und Depression, Angst und Stress, geringere Lebenszufriedenheit, Neid auf andere Mütter, Verlust der Vorstellung, etwas mitzugestalten, die "emotionale Achterbahn", ein Gefühl der Isolation. (Greil et al. 2010)

Auf den Folien wird jedes der aufgeführten Gefühle aus dem Artikel von einem möglichen konkreten Gedanken begleitet, um zu veranschaulichen und greifbar zu machen, was eine Patientin in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit erleben kann.

Folie 10 - 15 KULTURELLER KONTEXT

Die Erfahrung der Unfruchtbarkeit wird auch durch den persönlichen, sozialen, kulturellen und religiösen Kontext beeinflusst. Faktoren wie der sozioökonomische Status, religiöse Einflüsse, kulturelle Überzeugungen, die soziale Struktur usw. können die Erfahrung prägen. Das folgende Beispiel (Fall 1) veranschaulicht die Situation einer hochqualifizierten Einwanderin, die in einem europäischen Fertilitätszentrum Rat sucht:

"Ich bin 37 Jahre alt. Ich bin als Kind aus der Türkei nach Österreich gekommen. Ich habe einen Abschluss in Jura und arbeite als Anwältin. Mein Mann und ich leben in der örtlichen türkischen Gemeinde. Seit 5 Jahren werde ich nicht schwanger, und wir können keinen objektiven Grund dafür finden, abgesehen davon, dass die Spermienzahl meines Mannes nicht ausreichend ist. Aber natürlich könnte es sein, dass ich für mein erstes Kind zu alt bin, da ich ja viele Jahre der Ausbildung hinter mir habe. Ich würde nicht wollen, dass mich ein männlicher Arzt untersucht. Nur wenn die Ärztin hier ist, würde ich mich untersuchen lassen."

Das Beispiel zeigt deutlich, wie der soziale Kontext die Erfahrungen einer Person in vielerlei Hinsicht prägen kann. Als Angehöriger einer Minderheit bringt das Leben in der örtlichen Gemeinschaft sowohl ein Gefühl der Abgrenzung, als auch der Zugehörigkeit zur Gesellschaft mit sich. In ihrem Fall repräsentiert die Gemeinschaft eine andere religiöse Kultur und vielleicht sogar eine Familienstruktur und Geschlechterrollen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. In der Zwischenzeit ist die Frau hoch qualifiziert und gehört aufgrund ihres Berufs auch einer anderen Gemeinschaft an, der sie möglicherweise loyal gegenüber ist. Wie sich herausstellt, hat sie ihr Studienfach selbst gewählt und sich damit gegen die Werte ihrer unmittelbaren Umgebung gestellt.

Das folgende Beispiel (Fall 2) veranschaulicht, wie unterschiedliche Wahrnehmungen der Beziehung zwischen Patientin und Arzt oder Ärztin die Zusammenarbeit behindern können
"Ich bin Jennifer, 27 Jahre alt, und ich versuche seit 5 Jahren, ein Kind zu bekommen. Ich habe eine beidseitige Ovarialblockade. Ich wiege 95 Kilogramm und rauche. Auch wenn ich es versuche, kann ich nicht aufgeben. Vielleicht gelingt es mir vorübergehend, vielleicht aber auch nicht. Sollte ich abnehmen? Sagen Sie mir das nicht. Ich habe dieses Geld bezahlt, sie sollten es für mich tun. Das ist der dritte IVF Versuch, ich bin ein bisschen frustriert, ich weiß nicht einmal, warum es nicht funktioniert, obwohl ich es geglaubt habe. Ich bin mir sicher, dass der Arzt schlecht ist, denn sie haben nicht alles überprüft, sie helfen nicht genug. Ich bin unzufrieden."

Das Beispiel zeigt deutlich, dass sich die Frau gegenüber dem Arzt eher als Kundin sieht. Die Zahlung dient in diesem Fall dazu, sich selbst von der Verantwortung zu befreien und der anderen Partei eine Möglichkeit zur Rechenschaft zu geben. Diese Form der Patientenrolle kann aus psychologischer Sicht lohnend sein (keine Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen, im Falle eines Misserfolgs gibt es jemanden, dem man die Schuld geben kann), aber sie ist sicherlich nicht förderlich für eine kooperative Beziehung zwischen Patientin und behandelndem Arzt oder Ärztin.

Wie aus den Beispielen hervorgeht, wird die Erfahrung der Unfruchtbarkeit in hohem Maße durch den sozialen Kontext beeinflusst. Sie wird insbesondere durch explizite oder implizite soziale Normen in Bezug auf Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit geprägt, die in religiösen Lehren, Volksglauben, Stigmatisierung und Geschlechterdynamik zum Ausdruck kommen.  Das medizinische Personal muss in der Lage sein, die Reaktionen der behandelten Person zu entschlüsseln, um eine gemeinsame Grundlage für eine akzeptable Behandlungsmethode zu finden.  

Folie 16 INFERTILITÄT - DIE UMWANDLUNG DER PERSPEKTIVEN

Die medizinische Perspektive und die Perspektive der Patientin oder des behandelnden Paares haben nicht unbedingt den gleichen Ansatz. In dieser Beziehung befindet sich die Patientin in einer verletzlichen Position, und der Arzt bietet eine mögliche Lösung für sein Problem an. Der Patient hat medizinische Hilfe in Anspruch genommen, weil er darin eine Chance sieht, seine Situation zu ändern. Dennoch kann es bei der Interaktion zu Problemen kommen. Das hier beschriebene Kommunikationsmodell stellt den medizinischen Kommunikationsansatz dar, bei dem die Entscheidung über eine Intervention partnerschaftlich getroffen wird, und nach der Entscheidung führt der Arzt die Intervention durch, während die behandelte Person kooperiert (Cheng et al., 2015). Die Unfruchtbarkeitsbehandlung stellt einen medizinischen Sonderfall dar: Hier können auf partizipative (Patientin-Arzt/Ärztin-) Entscheidungen über Behandlungsoptionen ärztlich geleitete Interventionen folgen (im Gegensatz z. B. zu Fällen intensiver Therapie oder akuter Infektionen, bei denen das medizinische Personal den größten Teil der Entscheidungen trifft).
Um jedoch gemeinsam eine Entscheidung zu treffen, muss zunächst Vertrauen aufgebaut werden (Pacing). Die Schritte des Pacing sind auf der Folie zu sehen: Erkennen Sie die Gefühle des anderen; erkennen Sie sie an; geben Sie zurück, dass Sie sie akzeptieren, bestätigen Sie, dass sie natürlich sind.

KUNST - MEDIZINISCHE PERSPEKTIVE

Folie 17 - DEFINITION
Mit der Geburt von Louise Brown, dem ersten durch In-vitro-Fertilisation gezeugten Neugeborenen, begann 1978 eine neue Ära. Seitdem sind weltweit mehr als 7 Millionen Babys mit Hilfe der assistierten Reproduktionstechnologie (ART) geboren worden.
Alle Verfahren, die die In-vitro-Behandlung von menschlichen Eizellen und Spermien oder von Embryonen zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft umfassen, fallen unter die Kategorie der ART.
Die künstliche Befruchtung umfasst nicht die assistierte Insemination (künstliche Befruchtung) mit Sperma des Partners der Frau oder eines Samenspenders.

Folie 18 - 20 WEITERENTWICKLUNGEN UND FORMEN DER ART
Die Behandlung von Unfruchtbarkeit ist ein wichtiger Bestandteil der Verwirklichung des Rechts von Einzelpersonen und Paaren, eine Familie zu gründen.
Eine Vielzahl von Menschen auf der ganzen Welt benötigt möglicherweise ein Management in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit und Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten. Die Zahl der jährlich durchgeführten ART-Zyklen hat sich in den Vereinigten Staaten etwa verdreifacht, in Europa vervierfacht, in Japan versechsfacht und in China mindestens verzehnfacht. (Weltgesundheitsorganisation, 2023; Alon et al. 2023)

Die Verfügbarkeit, der Zugang und die Qualität von Maßnahmen zur Behandlung von Unfruchtbarkeit sind in den europäischen Ländern und noch mehr weltweit sehr unterschiedlich. Aufgrund der Befürchtung, dass die europäische Bevölkerung schrumpft und die Geburtenrate sinkt, wird der Prävention, Diagnose und Behandlung von Unfruchtbarkeit in den nationalen Politiken immer häufiger Priorität eingeräumt, aber der Rahmen der Unfruchtbarkeitsbehandlung wird weitgehend von kulturellen, religiösen, nationalen und politischen Werten beeinflusst. Die fehlende medizinische Infrastruktur und die unzureichende Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens stellen zusätzliche Hindernisse für den allgemeinen Zugang zur Kinderwunschbehandlung dar. Obwohl die ART seit über drei Jahrzehnten zur Verfügung steht, ist ihre Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit auf nationaler Ebene selbst in der Europäischen Union unterschiedlich. (Weltgesundheitsorganisation, 2023)

Bei der assistierten Reproduktion wurden wichtige Meilensteine erreicht. Der Grundstein für die künstliche Befruchtung wurde mit frühen Experimenten in den 1950er Jahren gelegt, einschließlich der In-vitro-Fertilisation (IVF) bei Tieren (Bavister, 2002). 1978 wurde Louise Brown, das erste "Retortenbaby", geboren, was einen großen Durchbruch in der menschlichen IVF bedeutete. In den 1980er Jahren wurde der Intratubare Gametentransfer (GIFT) entwickelt, eine Alternative zur IVF, bei der sowohl Ei- als auch Samenzellen direkt in den Eileiter eingebracht werden. Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), eine Technik zur Injektion eines einzelnen Spermiums in eine Eizelle, wurde 1992 eingeführt und revolutionierte die Behandlung der männlichen Unfruchtbarkeit. Die genetische Präimplantationsdiagnostik (PID) ist seit Ende der 1990er Jahre verfügbar und ermöglicht das Screening von Embryonen auf genetische Störungen bereits vor der Implantation. Das 21. Jahrhundert hat bedeutende Fortschritte in der Technologie des Einfrierens von Eizellen mit sich gebracht, die die Möglichkeiten zur Erhaltung der Fruchtbarkeit und zur Familiengründung erweitert haben.

Folie 21 - 27 Behandlung

Nachdem die Gründe für die Unfruchtbarkeit ermittelt wurden, gibt es eine breite Palette von Behandlungsmethoden für Unfruchtbarkeit, die eingesetzt werden können. Bei jungen, gesunden Paaren mit durchgängigen Eileitern und guter Spermienzahl kann die Überwachung des Zyklus und zeitlich abgestimmter Geschlechtsverkehr der erste Schritt sein, bevor man sich für ART-Methoden entscheidet.

Folie 22 - 23

Eine Insemination kann das Ergebnis verbessern, wenn z.B. kein Geschlechtsverkehr möglich ist, die Spermienzahl gut ist und die Eileiter offen sind.
Neben der Abklärung des Zustands der Frau ist ein Spermiogramm im Rahmen der Kinderwunschbehandlung obligatorisch. Diese muss gemäß den WHO-Standards durchgeführt werden, und zwar vor jeder invasiven Diagnostik bei der Frau oder vor Beginn der Behandlung. Auch wenn der Mann in der Vergangenheit bereits Kinder gezeugt hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Spermiogramm normal ist, und eine Kontrolle des Spermiogramms ist ebenfalls erforderlich. Zur Auswertung der Spermienzahl werden bestimmte Parameter herangezogen.
- Volumen ≥1.5ml
- Konzentration ≥15 Millionen Spermien/ml
- Progressive Motilität ≥32% (Kategorie a+b)
- Morphologische Normalformen ≥ 4%

Hinsichtlich der Motilität werden die folgenden 4 Kategorien unterschieden:
a.    Schnell bewegliche Motilität
b.    Langsam bewegliche Motilität
c.    Ortsbewegliche Motilität
d.    Unbewegliche Spermien

Die folgenden Definitionen wurden auf der Grundlage der oben genannten Parameter festgelegt:
- Normozoospermie: ein in allen Parametern unauffälliges Spermiogramm
- Oligozoospermie: verminderte Spermienkonzentration
- Asthenozoospermie: progressive Motilität <32%
- Teratozoospermie: Anteil der normal geformten Spermien <4%
- Azoospermie: keine Spermien im Ejakulat
- Aspermie: kein Ejakulat

Folie 23-25

Die ersten IVF-Behandlungen nutzten die Veränderungen eines spontanen Zyklus, wobei nur eine Eizelle entnommen wurde. Weitere Studien haben jedoch gezeigt, dass es möglich ist, den Eisprung durch die Verabreichung von Gonadotropinen zu induzieren, um eine größere Anzahl von Eizellen zu gewinnen. Dies erhöht die Effizienz des IVF-Prozesses erheblich.

1. Grundlagen der Stimulation: Die ovarielle Stimulation beinhaltet die Injektion von Medikamenten, die die Eierstöcke dazu anregen, mehr Eizellen als üblich zu produzieren. Dies wird durch die Verabreichung von Gonadotropinen erreicht, zu denen das Follikel-stimulierende Hormon (FSH) und manchmal das Luteinisierende Hormon (LH) gehören. Diese Hormone fördern das Wachstum der Follikel in den Eierstöcken.

2. Protokolle und Individualisierung: Stimulationen werden individuell an die Bedürfnisse der Patientinnen angepasst. Faktoren wie Alter, ovarielle Reserve (gemessen durch FSH, AMH und die Anzahl der Antralfollikel) und vorangegangene Stimulationszyklen werden bei der Auswahl des geeigneten Protokolls berücksichtigt.

3. Verschiedene Stimulationsprotokolle:

a) Antagonisten-Protokoll: Beginnt mit Stimulationsmedikamenten, gefolgt von einem GnRH-Antagonisten, um einen vorzeitigen Eisprung zu verhindern.
b) Langes Lutealphasen-Protokoll: Verwendet einen GnRH-Agonisten, um den natürlichen Zyklus zu unterdrücken, bevor die Stimulation beginnt.
c) Mikro-Flare-Protokoll: Nutzt eine niedrige Dosis eines GnRH-Agonisten, um die anfängliche Freisetzung von FSH und LH zu verstärken, gefolgt von Gonadotropinen.
d) Minimal-Stimulationsprotokoll: Clomiphene oder Letrozol werden in Kombination mit niedrig dosierten Gonadotropinen verwendet, um Kosten und Risiken einer hochdosierten Stimulation zu verringern.

4. Überwachung und Auslösung des Eisprungs: Während der Stimulation werden regelmäßige Blutuntersuchungen und Ultraschalluntersuchungen durchgeführt, um die Follikelentwicklung zu überwachen. Sobald die Follikel eine ausreichende Größe erreicht haben, wird der Eisprung durch die Injektion von hCG oder eines GnRH-Agonisten ausgelöst.

5. Sicherheitsaspekte: Ein zentrales Ziel der Stimulation ist es, das Ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS), eine potenziell schwerwiegende Komplikation, zu vermeiden. Die Dosis der Gonadotropine wird individuell angepasst, und in Risikosituationen kann die "Freeze-all"-Strategie angewendet werden.

6. Fortschritte und Forschung: Neue Ansätze zielen darauf ab, die Medikamentendosierungen zu optimieren und verschiedene Protokolle zu kombinieren, um die Effizienz und Sicherheit der Behandlung zu verbessern. Der Einsatz von GnRH-Antagonisten ist insbesondere für Frauen mit polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) von Vorteil, um das Risiko einer Überstimulation zu minimieren.
Jedes Protokoll wird auf die spezifischen Bedürfnisse und die medizinische Vorgeschichte der Patientin abgestimmt. Anpassungen und kontinuierliche Überwachung sind entscheidend, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen und gleichzeitig die Risiken zu minimieren.
Für weiterführende Informationen können Sie die umfassenden Richtlinien der ESHRE zur ovariellen Stimulation für IVF/ICSI einsehen: ESHRE Guidelines on Ovarian Stimulation in IVF/ICSI. (Janát-Amsbury et al. 2009, The ESHRE Guideline Group on Ovarian Stimulation et al. 2020)

Folien 26-27

Eines der bedeutendsten Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin ist die In-vitro-Fertilisation (IVF), ein Verfahren, bei dem Eizellen und Spermien in einem Labor befruchtet werden, und der sich entwickelnde Embryo meist im Blastozystenstadium in die Gebärmutter übertragen wird. IVF hat unzähligen Paaren, die mit Unfruchtbarkeit zu kämpfen haben, Hoffnung gebracht.

Ein weiterer bahnbrechender Fortschritt ist die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), die die direkte Injektion eines einzelnen Spermiums in eine Eizelle ermöglicht. Diese Technik hat die Behandlung von männlicher Unfruchtbarkeit revolutioniert und die Erfolgschancen für eine erfolgreiche Befruchtung erheblich gesteigert. Durch die Injektion eines einzelnen Spermatozoons in das Zytoplasma der Eizelle umgeht ICSI die Zona pellucida und erhöht die Wahrscheinlichkeit der Befruchtung und der anschließenden Embryoentwicklung, unabhängig von den Samenparametern. Der erste erfolgreiche Lebendgeburt nach einer ICSI-Fertilisation wurde 1992 berichtet.

Fortschritte in der genetischen Diagnostik haben ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt. Die Präimplantationsdiagnostik (PGD) ermöglicht die Auswahl von Embryonen ohne bestimmte genetische Störungen vor der Implantation und verringert somit das Risiko von Erbkrankheiten. Die Präimplantationsdiagnostik auf Aneuploidien (PGT-A), früher als Präimplantationsscreening (PGS) bekannt, zielt darauf ab, Embryonen mit einer normalen Chromosomenzahl für den Transfer im Rahmen der IVF auszuwählen. Bei der PGT-A werden das Polkörperchen oder eine oder wenige Zellen des Embryos durch Biopsie entnommen und genetisch getestet. Nur Embryonen mit einer normalen Chromosomenzahl werden transferiert. Die erste Generation der PGT-A, die eine Biopsie im Cleavage-Stadium und Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) für die genetische Analyse verwendete, erwies sich jedoch als ineffektiv bei der Verbesserung der Lebendgeburtenrate. Seitdem wurden neue PGT-A-Methoden entwickelt, die die Biopsie zu anderen Entwicklungsstadien durchführen und verschiedene Methoden zur genetischen Analyse verwenden. Ob PGT-A die IVF-Ergebnisse verbessert und für Patienten von Nutzen ist, bleibt umstritten und wird weiterhin intensiv diskutiert.

Die Eizell-, Spermien- und Embryonenspende haben neue Möglichkeiten für Einzelpersonen und Paare eröffnet, die mit Fruchtbarkeitsproblemen konfrontiert sind.

Schaubild 28 - Veränderbare und nicht-veränderbare Faktoren, die das Ergebnis der ART beeinflussen

Die meisten ART-Behandlungen werden bei Frauen im Alter zwischen 30 und 39 Jahren durchgeführt. Junge und gesunde normalgewichtige Frauen unter 35 Jahren haben eine 25-35%ige Chance auf eine Lebendgeburt nach einer Empfängnis mit Hilfe von Reproduktionstechnologien. Diese Erfolgsquote könnte in den begleitenden Zyklen verbessert werden. Frauen über 35 Jahre haben eine geringere Erfolgsquote. Das Alter ist der wichtigste Faktor, der den Erfolg von ART beeinflusst.  Das Ergebnis der ART wird auch durch veränderbare Faktoren wie "patientenbezogene Parameter" und "klinische Praktiken" beeinflusst. Patientenbezogene Parameter wie Lebensstil und Gesundheitsverhalten können geändert werden, um den Behandlungserfolg zu verbessern. Der BMI ist einer der wichtigsten veränderbaren Parameter. Andererseits umfassen "unkontrollierbare Aspekte" und "Laboraspekte", die als nicht veränderbare Faktoren kategorisiert werden, Elemente, die sich der Kontrolle des Patienten oder der Klinik entziehen, was die Bedeutung der Optimierung veränderbarer Faktoren innerhalb der Grenzen dieser unkontrollierbaren Elemente zur Verbesserung der ART-Ergebnisse unterstreicht.
Der medizinische Prozess der ART beginnt oft mit seriellen Hormoninjektionen im Rahmen einer kontrollierten Stimulation der Eierstöcke. Es folgt die Follikelpunktion, eine invasive Methode zur Entnahme von Eizellen, die dann entweder durch IVF oder ICSI befruchtet werden. Kommt es zu einer Befruchtung, entwickeln sich die Embryonen bis zu einem Blastozystenstadium und werden in die Gebärmutter übertragen. Zwei Wochen später kann die Schwangerschaft mit einem Schwangerschaftstest nachgewiesen werden.
Es gibt viele Phasen dieses Prozesses, in denen es zu Behandlungsfehlern und emotionaler Enttäuschung (seitens der Patientinnen und des medizinischen Personals) kommen kann. Die Patientinnen müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um stimuliert werden zu können (Patientinnen mit vorzeitiger Ovarialinsuffizienz oder Patientinnen in fortgeschrittenem Alter), um mit dem Stimulationsverfahren beginnen zu können. Es kann sein, dass sich die Follikel nicht entwickeln, dass die Eizellen nicht entnommen werden können, dass sich die Eizellen nicht befruchten lassen, dass sich die Embryonen nicht ausreichend entwickeln (schlechte Qualität der Embryonen), dass die Gebärmutterschleimhaut für einen Transfer nicht ausreicht, dass eine Schwangerschaft nicht erreicht wird, dass es zu einem Frühabort kommt oder dass eine extrauterine Gravidität vorliegt.  Dieser Vorgang wird in einem kurzen Video beschrieben.  

KUNST - PERSPEKTIVE DER PATIENTEN

Folie 29 - Persönlicher Kontext

Allein die Erfahrung der Unfruchtbarkeit löst gemischte Gefühle aus. Wenn sich ein Paar für eine Unfruchtbarkeitsbehandlung entscheidet, treten unweigerlich neue emotionale Herausforderungen auf: von der Hoffnung bis hin zur Erfahrung eines erheblichen Verlusts oder Misserfolgs.  Eine im Jahr 2002 durchgeführte Umfrage (Verhaak et al. 2002), an der 240 Frauen und 219 Männer teilnahmen, die vor und nach ihrer ersten intrauterinen Insemination befragt wurden. Die Studie befasste sich insbesondere mit dem Ausmaß ihrer Ängste und Depressionen, ihrem Sexualleben und ihren Plänen für weitere Interventionen.

Das haben sie festgestellt:
 "Nach einem ersten fehlgeschlagenen Behandlungszyklus nahmen sowohl bei Frauen als auch bei Männern die Depressionen zu, während bei Frauen auch die Angstzustände zunahmen."

"Nach dem ersten fehlgeschlagenen Zyklus zeigten fast 13% der Frauen klinisch relevante Formen von Depressionen".
"Es gab eine Zunahme der Unzufriedenheit mit der sexuellen Beziehung sowohl bei Männern als auch bei Frauen, unabhängig vom Erfolg der Behandlung".
Es liegen bereits Daten vor, mit denen sich die Veränderungen im emotionalen Zustand der Paare während des Prozesses detailliert verfolgen lassen (Gabnai-Nagy, 2021). Zusammenfassend erscheint es ratsam, den gesamten Prozess mit fachkundiger psychologischer Unterstützung zu begleiten (Frederiksen et al. 2015, Peterson und Eifert 2011).
Wie man sieht, sind Unfruchtbarkeit und ART bio-psycho-soziale Probleme. Ein rein medizinischer Ansatz vernachlässigt die verhaltensbezogenen Aspekte und die psychosozialen Auswirkungen des Themas. Die Unfruchtbarkeit selbst und die Behandlung sind Stressfaktoren, die sich stark auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität auswirken: Je länger die Depressionen und Ängste (bei beiden Partnern) andauern, desto häufiger treten somatische Symptome auf (vorallem bei Frauen).

Folie 30 - 32 Psychologische Unterstützung für ART-Patient:innen

Die psychologische Unterstützung zielt nicht darauf ab, die Erfolgsquote der Behandlung zu verbessern.   Es gibt keine Belege dafür, dass psychologische Interventionen die Schwangerschaftsrate beeinflussen könnten. Ziel der psychologischen Beratung im Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit und künstlicher Befruchtung könnte der Abbau von Stress im Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit und deren Behandlung sein, die Erkundung von Alternativen, die Bereitstellung emotionaler Unterstützung und die Auseinandersetzung mit unfruchtbarkeitsbezogenen (unbewussten) Gefühlen, Überzeugungen und Gedanken. Die Einbeziehung psychologischer Beratung in die ART- und Unfruchtbarkeitsbehandlung sollte Standard sein, insbesondere bei der Diagnose von Unfruchtbarkeit, bei Patienten, die mit Süchten, Essstörungen (auch subklinischen Fällen), die Fruchtbarkeit einschränkenden Verhaltensmustern zu kämpfen haben, bei Entscheidungen über die Art der Behandlung, während des IVF-Zyklus, bei Beendigung der Behandlung ohne Schwangerschaft, bei Fehlgeburten, am Ende der Behandlung, immer vor einer Gametenspende und auf Wunsch des Patienten.

Folie 33 - 34 ART - Die Konvergenz der Perspektiven

ART ist ein anspruchsvoller Prozess, bei dem der Arzt oder die Ärztin die zu behandelnde Person führen muss (Modell der Anleitung und Zusammenarbeit). Zunächst ist es wichtig, dass der Arzt/die Ärztin und die Frau bzw. das Paar die Entscheidung gemeinsam treffen (gegenseitige Beteiligung) (Cheng et al., 2015). Um eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Behandlungsoptionen zu treffen, müssen die Situation und die Optionen klar dargelegt und anschließend kulturelle, ideologische, emotionale usw. Unterschiede erkannt und akzeptiert werden. Der Entscheidungsprozess muss nicht immer mit den Überzeugungen des Arztes/der Ärztin übereinstimmen. Es ist wichtig, die aufkommenden Gefühle zu akzeptieren. Nach der Entscheidungsfindung besteht die Aufgabe des Arztes darin, die Frau oder das Paar auf den Weg der Zusammenarbeit zu führen.

Folie 35 - 36 Kontroverse Themen der ART

Die assistierte Reproduktionstechnologie (ART) stellt eine komplexe Landschaft dar, in der die Perspektive der Patient:innen von größter Bedeutung ist. Diese vielschichtige Welt ist stark vom kulturellen Kontext beeinflusst und wirft ethische Fragen auf, die ein breites Spektrum von Anliegen umfassen.
Eine der grundlegenden ethischen Fragen der ART ist das Dilemma der Embryonendisposition, bei dem es um zentrale Fragen wie die Anzahl der zu transferierenden Embryonen und das Schicksal der überzähligen Embryonen geht. Diese Entscheidungen sind Ausdruck der Hoffnung auf eine erfolgreiche Schwangerschaft, werfen aber gleichzeitig ethische Bedenken hinsichtlich des Verbleibs der Embryonen auf.
Auch die Ausbeutung ist ein drängendes ethisches Problem, denn es gibt Befürchtungen hinsichtlich der möglichen Ausbeutung von Spendern, Leihmüttern und gefährdeten Bevölkerungsgruppen, die in den ART-Prozess einbezogen sind. Das empfindliche Gleichgewicht zwischen medizinischem Fortschritt und ethischen Erwägungen ist entscheidend für den Schutz der Rechte und des Wohlergehens aller Beteiligten. Eugenik und Designerbabys sind ethisch bedenklich, da sie die Auswahl bestimmter genetischer Merkmale bei Embryonen und die Möglichkeit der Schaffung von Designerbabys betreffen.

Die Rechtslage im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung ist sehr vielschichtig und umfasst zahlreiche Fragen im Zusammenhang mit dem Wohlergehen von Kindern, der Verfügung über Embryonen, dem Einfrieren von Eizellen zu sozialen Zwecken, dem Reproduktionstourismus und der Geschlechtswahl. Rechtliche Fragen betreffen das Wohlergehen und die Rechte von Kindern, die durch künstliche Befruchtung geboren werden, die Entsorgung überzähliger Embryonen, das Einfrieren und die Verwendung von Eizellen, grenzüberschreitenden Reproduktionsdienstleistungen und die Geschlechtswahl aus nichtmedizinischen Gründen. Um diese Komplexität zu bewältigen, bedarf es eines sensiblen und durchdachten Ansatzes, der in den persönlichen und kulturellen Kontext eingebettet ist, der ethische Standards aufrechterhält und die Rechte und die Würde derjenigen schützt, die sich auf die komplizierte Reise der assistierten Reproduktionstechnologie begeben.

Literaturverzeichnis

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Weitere Lektüre

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